- 60 Jahre Kriegsende
Im Gedenken an die Geschehnisse der letzten Tage des Zweiten Weltkrieges, vom
erstmaligen Betreten Wiener Bodens durch sowjetische Truppen am 6. April bis zur
Ausrufung der Zweiten Republik am 29. April im Roten Salon des Wiener Rathaus,
erinnerte die rathaus korrespondenz täglich an die wichtigen
Vorkommnisse jener Tage.
Der deutsche Wehrmachtsbericht meldet: "Im Raum um Wien konnten die Sowjets im
Nordteil des Wiener Waldes nach Westen und Norden Boden gewinnen und trotz zäher
Gegenwehr unserer Truppen in die südlichen Vorstädte der Stadt eindringen.
Erbitterte Kämpfe sind im Gange". Die Wiener erfahren diesen Wehrmachtsbericht
nicht, weil es kein Radio und keine Zeitungen mehr gibt. Eine kleine Zeitung
namens "Wiener Presse" mit Durchhalteparolen wird zwar noch gedruckt, aber nicht
mehr verbreitet. - Die Rote Armee erreicht in voller Breite den Gürtel. Dort
gibt es kurzfristig heftige Kämpfe. Wehrmacht, SS und Volkssturm (fast
ausschließlich Vierzehn- bis Sechzehnjährige, denn die zum Volkssturm
einberufenen alten Männer sind fast alle untergetaucht) haben Eckhäuser in
Kampfstellungen umgewandelt, die Bewohner in die Keller der Nachbarhäuser
umgesiedelt. Auch Stadtbahnstationen werden als Festungen benützt. - Die
sowjetischen Truppen erobern Klosterneuburg und Tulln, amerikanische Truppen
erreichen Thüringen, die jugoslawischen Partisanen haben praktisch ganz Bosnien
befreit. - In großen Teilen Wiens gibt es keine Ordnungsmacht. Zehntausende
Flüchtlinge irren durch die Stadt. Plünderungen und Gewalttaten nehmen überhand.
So wird zum Beispiel ein großes Gepäcklager am Franz-Josefs-Bahnhof von
Zivilisten geplündert. Das Gepäck gehörte Frauen und Kindern, die evakuiert
werden sollten, aber wegen des raschen Vormarsches der Roten Armee nicht mehr
abreisen konnten. Sie wurden in umliegenden Häusern untergebracht, mussten ihr
Gepäck aber im Bahnhof zurücklassen. Bei Auseinandersetzungen der Plünderer gibt
es mehrere Tote. -Die drei führenden Vertreter des Widerstandes in der
Heeresstreife Wien -Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth und
Oberleutnant Rudolf Raschke - werden in Floridsdorf Am Spitz an Laternenpfählen
gehenkt, dabei mit Faustschlägen, Fußtritten und Bajonettstichen misshandelt. -
Im niederösterreichischen Kirchstetten begeht der Lyriker Josef Weinheber, vor
allem durch "Wien wörtlich" populär geworden, Selbstmord. Er wurde 1892 in Wien
geboren, von den Nationalsozialisten als "Dichterfürst" gefeiert. Dafür bedankte
er sich mit Huldigungsgedichten an Hitler und die Nazis. Er war der
prominenteste unter vielen Österreichern, die aus Angst davor, zur Verantwortung
gezogen zu werden, Selbstmord verübten. -
In allen Wiener Bezirken gibt es
Brände, aber keine Feuerwehr und vielfach auch
kein Löschwasser. Der Stephansdom beginnt an mehreren Stellen zu brennen,
vermutlich durch Funkenflug von den brennenden Häusern der Umgebung. Zivilisten
löschen, oft unter Lebensgefahr, diese vorerst kleinen Brände, doch entstehen
immer wieder neue Brandherde. Die Wiener Feuerwehr erhält den Befehl, Wien zu verlassen b ereits am 7.4.1945. 3.800 Männer mit 627
Fahrzeugen verließen die Stadt über die Reichsbrücke. Sie kamen während des
Rückzuges über das Waldviertel bis Oberösterreich und erst im Verlauf des
Sommers 1945 gruppenweise nach Wien zurück. In Wien verblieben nur wenige
Männer, die sich dem Abmarschbefehl entziehen konnten, mit einigen veralteten
und nur bedingt einsetzbaren Geräten.
Eine
Wehrmachtseinheit will das Allgemeine Krankenhaus als Stützpunkt benützen. Ärzte
und Schwestern unter Führung von Prof. Schönbauer können die Soldaten unter
Hinweis auf die vielen Verwundeten im Spital von diesem Plan abhalten. Auch die
Kinderübernahmestelle im 9. Bezirk wird von der Wehrmacht als Kampfstellung
beansprucht, doch glauben die Offiziere den - unwahren - Behauptungen, dass die
Anlage voller Kinder mit schwer ansteckenden Krankheiten sei und ziehen deshalb
weiter. - In der Tagesmeldung der Heeresgruppe Süd heißt es:
"Truppe meldet
Teilnahme von Zivilisten mit roten Armbinden auf Seiten der Russen."
PID-Rathauskorrespondenz:
www.wien.at/vtx/vtx-rk-xlink/
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